Stöbert man in der Geschichte des Johannistages, dem 24. Juni als dem liturgischen Hochfest der Geburt Johannes des Täufers, so hat man den Eindruck auf einen Knoten von Überlieferungen gestoßen zu sein.
Schon ein Blick auf die entsprechende Seite von Wikipedia1 vermittelt diesen Eindruck. Da ist die lukanische Konstruktion einer quasi genealogischen Beziehung zwischen Jesus und Johannes. In sie hinein montiert sind hymnischen Zeugnissen mündlicher Überlieferung: neutestamentliche Psalmen. Dieser lukanischen Inspiration folgt die zeitliche Konstruktion der linearen Ebene des liturgischen Kirchenjahres über biologisch rekonstruierte Konzeptions- und Geburtstermine. Historisch vorauslaufend, aber in Abstimmung gebracht, kommen astronomische Konstellationen zum Zuge. Hinzu kommen natürliche und jahreszeitliche Zusammenhänge, die sich in Verbindungen zu Pflanzen und deren Wachstum, Ernte und Wirkung zeigen, oder zu Tieren und deren Fortpflanzungsrhythmen und -ritualen. Nicht zu vergessen eine Fülle von Formen regionalen und überregionalen Brauchtums mit vielfältigen sozialen und psychologischen Aspekten.
Man könnte den Johannistag und seine Geschichte als ein Labor zur Entwicklung dessen ansehen, was man in der Verwaltungstheologie mit dem etwas morbid klingenden Begriff der Kasualie bezeichnet.
Die skizzierten Aspekte könnten als Teile konkreter Bauanleitungen für den Umbau von Kasualien genannten Ereignissen gelten, an denen vielerorts gearbeitet wird. Die persönliche Nähe zwischen Johannes und Jesus erweitert dabei den Blick auf die Taufe als liturgischen Quellort von Kasualien und öffnet ihre Vollzüge; sie könnten vielleicht sogar gelegentlich von ihrer administrativen Verwicklung mit Mitgliedschaft entkoppelt werden. Denn es könnte sein, dass in der kommenden Weltlage noch ganz andere Kasualien aus dem Taufwasser herausgezogen werden müssen…
Einige Stichworte:
Es könnte sein, dass man quasi nach innen gerichtete Kasualien erfinden muss, die den eigenen Bedeutungsverlust der Kirchen und ihrer AmtsträgerInnen in unseren Gesellschaften ‚bearbeiten‘ …
Es könnte sein, dass, wenn sich nicht unerhebliche Teile der Missionsgeschichte als Aktivitäten von Kolonisatoren erweisen, Kirchen alte Schuld bekennen und darüber trauern lernen müssen…
Es könnte sein, dass sich herausstellt, dass alte dogmatische Grundentscheidungen eher machtpolitische Ziele als theologische Wahrheitssuche abbilden; im Zuge ihrer Überarbeitung werden sich Fragen nach kirchlicher Praxis stellen…
Es könnte sein – den Blick nach draußen wendend –, dass man den Verlust gewohnter Landschaften im Zusammenhang des Klimawandels ‚kasualtechnisch bearbeiten‘ müsste …
Es könnte sein, dass durch demographische Prozesse, Pandemien und Migrationen viel mehr Menschen sterben, als wir es ‚gewohnt‘ sind …
Es könnte im Zusammenhang von näher rückenden Kriegen sein, dass man neue Formen von Friedengebeten entwickeln muss, die weniger moralische Selbstdeklarationen sind, sondern an so etwas wie Lamentationen anknüpfen, damit Gefühle wie Ängste und Wut irgendwo bleiben können…
Es könnte sein, dass man die aussterbenden (Vogel)-Arten vermisst, weil man sie im Garten oder am Kanal nicht mehr hört und sieht und ‚kasualpraktisch bearbeiten‘ müsste…
Und weiter:
Welche Rolle spielen die Kirchengebäude, wenn es nur noch wenige Christinnen und Christen gibt? Werden sie neben Gottesdienstorten öffentliche Leseorte, Ausstellungsorte …, die auch andere mitgestalten können?
Werden sie Orte der Stille für alle in einer lärmenden Welt?
Werden sie kühle Orte für alle, in überhitzten Sommern?
Vielleicht werden auch Kirchen zu Orten, an denen man zu essen bekommen und schlafen kann…
Die Gemeinsamkeit der hier nur hingeworfen skizzierten Kasualien – manches entwickelt sich ja längst – würde deutlich weniger in ihrer verwalterischen Begrenzung und Besitzstandswahrung liegen, sondern mehr in einer „Offenheit für das Erschütternde“, von der der tschechische Philosoph Jan Patocka über „Die Kriege des 20. Jahrhunderts und das 20. Jahrhundert als Krieg“2 schreibt. Diese Offenheit verlangt von uns „durch die Erfahrung des Sinnverlustes hindurchzugehen“, und mündet in eine „Solidarität der Erschütterten“. Mit anderen Worten: Gastfreundschaft3 ist eine, wenn nicht die liturgische Grundfigur.
P.S. Eine (kleine) Kasualie, die so intim ist, dass sie jegliches verwalterisches und merkantiles Begehren natürlicherweise unterwandert, dabei aber untrüglich ins Herz aller Kasualien führt, äußert sich in der Frage danach, wie schon jetzt Gottesdienste jeglicher Art und Kirchen als Orte so gestaltet sein können, dass in ihnen behütet, (also auch diskret), geweint werden kann (Lk 19, 41-44).