Exkursion: Aschermittwoch
Exkursionen sind Spaziergänge fürs Gehirn. Es geht darum, in den gewohnten Denkbahnen Differenzen zu erzeugen und Platz zu schaffen. Dazu braucht es Bewegung, von Hauptsachen zu Nebensachen, von der Peripherie ins Zentrum und umgekehrt. Hier sind Impulse jeweils um ein Fest des Kirchenjahres gruppiert.
Denken:
Paulus, geführt von seinem Engel, muss in den Abyssos der Verdammten hinabsehen, aus dem es seufzt und schreit um Erbarmen: Aber niemand erbarmte sich ihrer. So ist es mit der unerbittlichen Gerechtigkeit bestellt, trotz des Heilstodes am Kreuz. Paulus aber weint angesichts dessen, was er sieht, seufzt über das Menschengeschlecht. Der Engel an seiner Seite verweist ihm das: Warum weinst du? Bist du barmherziger als Gott? Paulus sagt in seiner Apokalypse nichts von einer Antwort, die er gegeben hätte. Erst viel später, nach vielfacher Umsicht unter den Qualen der Verdammten, stellt er die alles umfassende Frage: Weshalb sind sie geboren worden? Wieder verweist ihm der Engel: Warum weinst du? Bist du barmherziger als der Herr Gott? Und nochmals etwas später, diesmal sich selbst einbeziehend: Besser wäre es für uns, wenn wir nicht geboren wären, wir alle, die wir Sünder sind.
Es ist schon viel, dass dieser Paulus weint. Wann ist jemals in der Geschichte dieser großen Liebesreligion von den Heilsgewissen geweint worden über die Verworfenen und Verdammten, deren Überzahl, der massa damnata? (H. Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt/M. 1988, S. 252f)
Schreiben:
לִמְנֹ֣ות יָ֭מֵינוּ כֵּ֣ן הֹודַ֑ע וְ֝נָבִ֗א לְבַ֣ב חָכְמָֽה׃
(Ps. 90,12)
Lautlesen:
Ob man sich ein Herz auf die Stirn tätowieren sollte? Alle Welt würde dann sehen: das Herz ist ihm zu Kopf gestiegen. Und da es ein tintenblaues Herz, ein sterbeblaues, ein agonisches Herz wäre, könnte man auch sagen: der Tod ist ihm in den Kopf gestiegen. Wir brauchen nur aufzuschreiben, wie tief uns der Schrecken traf. (Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, Zürich 1992, S. 291)