Exkursion: Advent
Exkursionen sind Spaziergänge fürs Gehirn. Es geht darum, in den gewohnten Denkbahnen Differenzen zu erzeugen und Platz zu schaffen. Dazu braucht es Bewegung, von Hauptsachen zu Nebensachen, von der Peripherie ins Zentrum und umgekehrt. Hier sind Impulse jeweils um ein Fest des Kirchenjahres gruppiert.
Singen:
Lautlesen:
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe.
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr,
mächtig im Streit.
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre. (Ps 24)
Schreiben (hebräisch):
תא מרנא
Denken:
Weil jeder Mensch auf Grund seines Geborenseins ein initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen.
“Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen, vor dem es niemand gab“ (Augustin).
Dieser Anfang, der der Mensch ist, insofern er Jemand ist, fällt keinesfalls mit der Erschaffung der Welt zusammen; das, was vor dem Menschen war, ist nicht Nichts, sondern Niemand. […]
Was natürlich nichts anderes sagen will, als dass die Erschaffung des Menschen als eines Jemand mit der Erschaffung der Freiheit zusammenfällt.
(Hannah Ahrend, Denken ohne Geländer, München 2006, S. 177f.)
Denken:
Vermutlich gibt es keinen Glauben ohne das Verschwinden eines Körpers. Und man könnte eine Religion, wie beispielsweise das Christentum, als eine immense kollektive Arbeit begreifen, die auf Dauerhaftigkeit, auf Wiederholung, auf ihre permanente obsessive Selbsterzeugung angelegt ist: auf die immense symbolische Bewältigung dieses Verschwindens.
So hört Christus niemals auf, sich zu manifestieren, zu verschwinden und schließlich sein Verschwinden selbst zu manifestieren. Fortwährend öffnet er sich und verschließt sich wieder. Fortwährend kommt er uns zum Greifen nahe und zieht sich wieder zurück bis ans Ende der Welt.
Beispielsweise wenn er in seinem demütigen Tod und seinem Begräbnis entschwindet, aber bald darauf in seiner glorreichen Auferstehung zurückerscheint. Seine Auferstehung bedeutet zugleich aber auch, in einer dialektischen Wendung, dass mit ihr die Zeit eines erneuten Verschwindens beginnt, die nun aber durch den Glauben ausgezeichnet ist: die menschliche Zeit, die Zeit der Gemeinschaft und der Liturgie, in der seine Abwesenheit zum Warten auf seine Wiederkehr, auf seine „ewige Herrschaft“ wird.
(Georges Didi-Huberman, Phasmes, Köln 2001, S. 211)