Wie immer induziert man die gewaltigen Bilderwelten der biblischen Apokalypse bewerten mag[1], man kommt nicht umhin, in einschlägigen filmischen Großproduktionen ihre geldgierigen Nachfolger zu erkennen. Real und überaus beschämend ist ihr direkter Aufruf im Zusammenhang aktueller kriegerischer Handlungen.

Doch es gibt eine andere Tradition von Endspielen. Unbemerkt scheint sie ausgewandert zu sein aus ihren angestammten kirchlichen Gehäusen und Zuflucht genommen zu haben in Dichtung oder auf Theaterbühnen. Wirkungsvoll ist diese Tradition nicht allein in ihrer Auswanderung, weil sie befremdet und sich Befremdungen, also Differenzierungen unterschiedlicher Art und Richtung ausgesetzt sieht. In Bezug auf ihre biblische apokalyptische Herkunft und Überlieferung kommt in dieser Bewegung noch eine weitere Erfahrung/Technik zum Tragen: Erschöpfung.

„Erschöpft sein heißt viel mehr als ermüdet sein. […] Der Ermüdete verfügt über keinerlei subjektive Möglichkeit mehr, er kann also gar keine objektive Möglichkeit mehr verwirklichen. Die Möglichkeit bleibt jedoch bestehen, denn man verwirklicht nie alle Möglichkeiten, man schafft sogar in dem Maße, wie man sie verwirklicht neue. Der Ermüdete hat nur ihre Verwirklichung erschöpft, während der Erschöpfte alles, was möglich ist, erschöpft. Der Ermüdete kann nichts mehr verwirklichen, der Erschöpfte hingegen kann keine Möglichkeit mehr schaffen.[2] […] Man kombiniert alle Variablen einer Situation, vorausgesetzt, dass man auf Vorlieben, Zielsetzungen oder Sinngebungen jedweder Art verzichtet.[3]

Eine theologische Pointe dieses Gedankenganges des französischen Philosophen Gilles Deleuze über Samuel Beckett findet sich in dessen „Endspiel“ (1957): Nachdem Hamm in seinem Sessel sitzend, den er nicht verlassen kann, Nagg, der aus der Mülltonne, in der er lebt, herausguckt, eine längere Geschichte erzählt hat – für deren Anhören Nagg eine Praline als Belohnung in Aussicht gestellt bekam – Clov herangerufen hat, sagt er plötzlich:

HAMM Lasst uns zu Gott beten.

CLOV     Schon wieder?

NAGG   Meine Praline!

HAMM Erst zu Gott beten! Pause. Seid ihr soweit?

CLOV     resigniert Meinetwegen.

HAMM zu Nagg Und du?     

NAGG   die Hände faltend und die Augen schließend, sehr schnell sprechend Vaterunser, der Du bist im …

HAMM Still! Jeder für sich! Etwas Haltung! Also los. Gebetshaltungen. Stille. Hamm ist der erste Entmutigte. Na?

CLOV     die Augen wieder öffnend Kein Gedanke! Und du?

HAMM Kein Funke! Zu Nagg Und du?

NAGG   Moment! Pause. Die Augen wieder öffnend. Keine Spur!

HAMM Der Lump! Existiert nicht!

CLOV     Noch nicht.[4]

Ist hier Gott als „die Gesamtheit alles Möglichen […] nicht mehr zu unterscheiden vom Nichts“[5]?

What when words gone? None for what then. But say by way of somehow with sight to do. With less of sight. Still dim and yet -. No. Nohow so on. Say better worse words gone when nohow on. Still dim and nohow on. All seen and nohow on. What words for what then? None for what then. No words for what when words gone. For what when nohow on. Somehow nohow on.

Worsening words whose unknown. Whence unknown. At all costs unknown. Now for to say as worst they may only they only they. Dim voids shades all they. Nothing save what they say. Somehow say. Nothing save they. What they say. Whosesoever whencesoever say. As worst they may fail ever worse to say.

Remains of mind then still. Enough still. Some whose somewhere somehow enough still. No mind and no words? Even such words. So enough still. […]

Less. Less seen. Less seeing. Less seen and seeing when with words then when not. When somehow that when nohow. Stare by words dimmed. Shades dimmed. Void dimmed. Dim dimmed. All there as when no words. As when nohow. Only all dimmed. Till blank again. No words again. Nohow again. Then all undimmed. Stare undimmed. That words had dimmed. […]

Blanks for when words gone. When nohow on. Then all seen as only then. Undimmed. All undimmed that words dim. All so seen unsaid. No ooze then. No trace on soft when from it ooze again. In it ooze again. Ooze alone for seen as seen with ooze. Dimmed. No ooze for seen undimmed.  For when nohow on. No ooze for when ooze gone. […]

 All save void. No. Void too. Unworsenable void. Never less. Never more. Never since first said never unsaid never worse said never not gnawing to be gone. […] ?

Same stoop for all. Same vasts apart. Such last state. Latest state. Till somhow less in vain. Worse invain. All gnawing to be naught. Never to be naught. […]

Enough. Sudden enough. Sudden all far. No move ans sudden all far. All least. Three pins. One pinhole. In dimmost dim. Vasts apart. At bounds of boundless void. Whence no farther. Best worse no farther. Nohow less. Nohow worse. Nohow naught. Nohow on.

Said nohow on.[6]

Die Frage danach, ob Gott als „die Gesamtheit alles Möglichen […] nicht mehr zu unterscheiden [ist] vom Nichts“[7], kann im erschöpfenden Sinne nicht beantwortet werden. Man kann nur „mit dem gleichen  Recht wie von den Sternen“ oder von Keksen sagen, dass eine Fragestellung (Gott als die Gesamtheit alles Möglichen) von der anderen (Gott als Nichts) „verschieden“ ist; man kann sie „jedoch nicht in ihrer Fülle genießen“, wenn man „nicht gelernt“ hat, irgendeine[] irgendeine[r] anderen nicht vorzuziehen“.[8]

Deleuze erkennt in dieser Formulierung von Beckett, „irgendeinen irgendeinem anderen nicht vorzuziehen“, eine Variante der Formel von Bartleby I would prefer not to.[9]

„Die Formel I prefer not to schließt jede Alternative aus und verschlingt ebenso das, was sie zu bewahren vorgibt, wie sie auch jede andere Sache beseitigt; sie impliziert, dass Bartleby abzuschreiben, das heißt, Worte zu reproduzieren aufhört; sie lässt eine Unbestimmtheitszone wachsen, so dass die Worte sich nicht mehr unterscheiden, sie schafft die Leere in der Sprache. Aber sie entschärft auch die Sprechakte, denen zufolge ein Arbeitgeber befehlen, ein wohlwollender Freund Fragen stellen, ein aufrichtiger Mensch Versprechungen machen kann.“[10]

Die Analyse der bekannten Novelle von Melville untersucht die verschiedenen Aspekte der speziellen Formel Bartleby‘s, seine Person, die Umstände, in denen der Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei seine Formel gebraucht, die literarischen und geschichtlichen Zusammenhänge, die sie eröffnet. Am Ende kommt Deleuze zu dem Punkt, der auch unseren Versuch einer Erschöpfung des michaelisch-apokalyptischen Prinzips der Verknüpfung von richtender Herrschaft und Christentum auf den Punkt bringt: Dieser Bartleby ist mit der Praxis seiner Formel „nicht der Kranke, sondern der Arzt“ oder, wie Deleuze sagt: „der neue Christus oder unser aller Bruder“.[11]