I. Szene 1
Der Entschluss
Claus, Nina
Nina von Stauffenberg besucht ihren Mann in einer Klinik in München und hilft ihm dabei, mit seinen Verstümmelungen umzugehen, von nun an übt er beständig mit einer Kneifzange zu hantieren.
Nina: Ich bin bei Dir, mein Liebster!
Claus: Ich muss es tun, ich muss; jetzt!
Dort kommt er vom berge dort steh er im hain!
Wir sahen es selber er wandelt in wein
Das wasser und spricht mit den toten.
O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:
Nun schlug meine Stunde nun füllt sich das garn.
Nun strömen die fische zum hamen.
Die weisen die toten – toll wälzt sich das volk.
Entwurzelt die bäume zerklittert das korn.
Macht bahn für den zug des Erstandnen.
Nina: Mein Herz, ich bin hier!
Claus: Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich
Kein schatz der ihm mangelt kein glück das ihm weicht
Zu grund mit dem rest der empörer!
Ihr jauchzet entrückt von dem teuflischen Schein
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.
Denn hängt ihr die zunge am trocknenden trog
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof
Und schrecklich erschallt die posaune.
Nina: Ich bin hier! Bei dir, mein Geliebter. Ruhig, mein Herz, ich bin hier.
Eine Zeit vergeht
Claus: Von Tunis aus: Wüste. In der Enge zwischen dem Salzsee Sebhket en Noual und dem Chabi-ta-Khetati-Pass: die Jagdflieger. Ein Inferno. General Broich vorneweg, ich hin und her am Schluss: getroffen. In Sfax das linke Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken Hand. Dann: Kathargo. Lazarettschiff: Livorno. Jetzt München: Sauerbruch. Trotzdem: ich muss handeln. Es wird Zeit, dass ich das Deutsche Reich rette!
Nina: Dazu bist du in deinem Zustand jetzt gerade der Richtige!
Claus: Ich bin entschlossen. Im Gespräch mit Onkel Nüx, 39 war‘s. Da war ich noch unentschlossen, selbst etwas zu tun! Inzwischen hast Du alles gelesen.
Nina: Ja, habe ich. Wie geht es Sauerbruch?
Claus: Ja, gut.
Nina: Und Schwerin?
Claus: Ja.
Nina: Hast Du Nachrichten von Cäsar?
Claus: Ja.
Nina: Hast Du mit Berthold gesprochen?
Claus: Ja, auch.
Nina: Und Merz?
Claus: Ja.
Nina: Diezt Truchsess?
Claus: Nein.
Nina: Wolfskehl?
Claus: Nein.
Nina: Beck, Hassel, Goerdeler?
Claus: Ja.
Nina: York?
Claus: Ja, er ist Moltke sehr nah. Und Julius Leber – ich hätte das nicht gedacht – ein kühner Mann. Er muss in der ersten Reihe stehen. Ein Kanzler. Für eine neue Regierung ist er jedenfalls wichtiger als Goerdeler. Wir müssen doch vorangehen jetzt!
Nina: Ja.
Claus: Mein Gott, Nina! Sieh zu, dass die Papiere niemand in die Hände kriegt.
Nina: Ja, gut.
Claus: Je weniger du weißt, umso besser für dich.
Nina: Ja.
Claus: Wenn ich Dir etwas befehlen könnte…
Nina: Ja?
Claus: Verzeih!
Nina: Ja…
Claus: Steh nicht zu mir!
Nina: Nein!
Claus: Das Wichtigste ist, dass einer von uns den Kindern erhalten bleibt
Eine Zeit vergeht.
Nina: Du bist bei mir,
Wenn auch Dein Leib verging,
Und immer ist’s, als ob
Dein Arm mich noch umfing.
Dein Auge strahlt mir zu
Im Wachen und im Traum.
Dein Mund neigt sich zu mir,
Dein Flüstern schwingt im Raum:
Claus: Geliebtes Kind! Sei stark,
Sei Erbe mir!
Wo du auch immer bist,
Ich bin bei Dir!
II. Szene
Die Kirche
Claus, am Ende der Küster
Stauffenberg befindet sich allein in einer Kirche, erneut hört er die Stimme seines in frühester Kindheit verstorbenen Zwillings Konrad Maria. Plötzlich tritt der Küster auf und bittet Stauffenberg hinaus.
Stimme: Du zweifelst, Zwilling.
Claus: Gott, Maria, Konrad Maria!
Stimme: Tyrannenmord, Ist es das? Thomas von Aquin, auch Martin Luther dachten über Tyrannenmord und hielten ihn unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt.
Claus: Das ist es nicht. Die größte Schwierigkeit besteht darin, zu begreifen, was den anderen leitet, sich von Mensch zu Mensch zu verstehen und über den Rahmen seiner eigenen Gedanken hinaus zu gehen.
Stimme: Du meinst Gisevius?
Claus: Zum Beispiel, mir ist er irgendwie unklar. Aber auch die Alten Herren, die blicken nur zurück. Und die zögernden Militärs; ich war schon zweimal kurz davor… Es ist ein eigenartiges Gefühl, das halb gezogene Schwert wieder in die Scheide zurückstoßen zu müssen. Zum Glück ist Beck ermutigend und stark.
Stimme: Wenn es dann erst um Macht geht…
Claus: Zur äußersten Tat darf man nur schreiten in einem Geist, der rein ist von allen persönlichen Interessen. Dennoch muss ich mir klar darüber sein, dass wer zum Schwert greift, durch das Schwert umkommt.
Stimme: Selig sind die Friedfertigen?
Claus: Ich weiß nicht. Ich denke eher an den Widerchrist. Selten habe ich über dies Gedicht des Meisters so intensiv gesprochen wie mit Tresckow und Schulenburg.
Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich
Kein schatz der ihm mangelt kein glück das ihm weicht
Zu grund mit dem rest der empörer!
Ihr jauchzet entzückt von dem teuflischen schein
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.
Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof
Stimme: Kennst du das auch?
Und je klarer das Lebendige vor mir steht/ je höher das Menschliche sich offenbart und je eindringlicher die tat sich zeigt/ umso dunkler wird das eigne blut/ umso ferner wird der klang eigner worte und umso seltener der sinn des eigenen lebens/ wohl bis eine stunde in der härte ihres schlages und in der grösse ihrer erscheinung das zeichen gebe
Claus: Ich erinnere, ich war jung; Der Meister scheint es lange bei sich getragen zu haben.
Stimme: Jetzt wirst du das Zeichen setzen, coûte que coûte, auf den praktischen Zweck kommt es nicht an, sondern darauf, dass der deutsche Widerstand vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat.
Claus: In einer Kirche darf man es am ehesten sagen: ein Opfer, bei meiner Verfassung ist das nicht ohne Ironie: krummes Holz, aufrechter Gang, ohne Zweck, ohne Absicht, ohne Lohn, mit dem Risiko der Erfolglosigkeit: fifty/fifty.
Stimme: sola gratia.
Claus: Darüber muss man schweigen.
– Wenn einst dies geschlecht sich gereinigt von schande –
Er übt Gewalt mit seinem Arm
Stimme: und zerstreut die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn
Claus: Er stößt die Gewaltigen vom Thron
Stimme: und erhebt die Niedrigen…
Küster: Wir schließen die Kirche jetzt, Herr Oberst.
Stauffenberg: Ja, selbstverständlich.
Küster: Abends kommen hier alle möglichen Leute herein, grad neulich wurde ein Kerzenleuchter gestohlen.
Stauffenberg: Sie brauchen mir nichts zu erklären.
Küster: Die Juden haben keinen Respekt.
Stauffenberg: Woher wissen Sie das?
Küster: Ich kenn‘ mich aus, ich bin deutscher Christ.
Stauffenberg: In ganz Berlin gibt’s fast keine Juden mehr; Gott, Maria, Konrad Maria, Magnifikat!
III. Szene
Der Fahrer
Stauffenberg, sein Fahrer
Zurück im Auto spricht Stauffenberg mit seinem Fahrer Schweizer und instruiert ihn für den organisatorischen Ablauf des 20. Juli 1944.
Stauffenberg: Wer nicht für die Juden schreit, darf nicht gregorianisch singen.
Schweizer: Tristanstraße?
Stauffenberg: Ja. Pardon. Machen Sie sich keine Sorgen, Schweizer.
Schweizer: Nein.
Stauffenberg: Morgen sind Sie bitte um sieben Uhr früh in der Tristanstraße. Wir fahren dann nach Rangsdorf zum Flugplatz.
Schweizer: Ja.
Stauffenberg: Nachmittags um drei, also 15 Uhr, stehen Sie dann wieder in Rangsdorf bereit.
Schweizer: Ja.
Stauffenberg: Von diesem Zeitpunkt an können Sie damit rechnen, dass Haeften und ich mit dem Flugzeug aus Ostpreußen gelandet sind.
Schweizer: Passiert es wirklich morgen?
Stauffenberg: Ich werde Hitler persönlich von der Neuaufstellung der Sperrdivision im Ostgebiet vortragen. Und dann ist es soweit. Wir rechnen damit, dass gegen 13 Uhr der Kriegsrat zusammen tritt. Kommen wir aus den Sperrbezirken hinaus, ist es noch ein Stück bis zum Flugzeug. Und von dort ein paar Stunden nach Berlin. Also frühestens um 15 Uhr. Ein Fahrer vom Mauerwald oder Haeften fahren das Auto in Ostpreußen. Sie fahren es in Berlin. Sollte es Verspätungen geben, so erfahren sie es per Telefon.
Schweizer: Jawohl.
Stauffenberg: Dann geht’s in den Bendlerblock. Sorgen Sie dafür, dass Sie heute Nacht gut schlafen, Schweizer.
Schweizer: Wie macht man das?
Stauffenberg: Keine Ahnung! Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?
Schweizer: Gern.
Stauffenberg: Um etwas verweilet noch die Nacht…
Schweizer: Morgen wird es warm.
Stauffenberg: Woher wissen Sie das?
Schweizer: Der Himmel, keine Wolken. Gute Nacht!
Stauffenberg: Ah! Mein Glasauge! Liegt es im Handschuhfach oder zu Hause?
Schweizer: Zu Hause. Sie wollten es nicht mehr benutzen.
Stauffenberg: Morgen brauche ich alle beide!
IV. Szene
Das Cello
Claus allein
Stauffenberg ist allein in seiner Wohnung in der Tristanstraße 8 in Berlin Wannsee. Das Telefon klingelt.
Claus: Nina, mein Herz, ich freue mich, deine Stimme zu hören, selbst am Telefon, wie geht es dir und den Kindern?
Nina: Geliebter, Du klingst beunruhigt. Wie geht es Dir? Wir fahren morgen allesamt nach Lautlingen.
Claus: Aber ist das nicht zu gefährlich? Kannst Du nicht absagen?
Nina: Tut mir leid, mein Gepäck ist schon unterwegs, und die Fahrkarten sind auch schon gekauft.
Claus: Ich hoffe, alles geht gut. Die Reiserei ist doch beschwerlich in dieser Zeit, für Dich und die Kinder.
Nina: In guten und in schlechten Tagen.
Claus: In guten und in schlechten Tagen.
Nach dem Telefonat versucht Stauffenberg mit seinen versehrten Händen, sein Cello zu spielen.
V. Szene
Das Abendessen
Claus, Berthold, dann Peter York
Berthold von Stauffenberg bereitet das Abendbrot, später stößt Peter York von Wartenburg hinzu.
Claus: Berthold! Du bist’s! Du hast mich erschreckt.
Berthold: Die Anspannung. Ich habe eingekauft, lass uns zu Abend essen. Ich habe Brot und Fisch und Käse und: ich habe eine gute Flasche Wein aufgetan, rot, Bordeaux. Peter York schaut später noch mal rein.
Claus: Er hat an Stärke zugenommen, an Entschlossenheit. Gibt es Neuigkeiten von Moltke?
Berthold: Er wird es wissen. Im Büro läuft hin und wieder Arbeit von ihm ein. Noch ist ihm erlaubt zu arbeiten und er ist sehr diszipliniert.
Claus: Weißt Du, es ist schade, dass wir nicht zusammen kommen; ich find ihn so blasiert in seiner Art, so theoretisch und von oben herab. Ich kann da nur schlecht gegen an. Wenn er mit Peter und mit Trott und Leber und noch andren so gut kann und selber so aktiv ist, wie Du es vom Büro ja gut beurteilen kannst… Gut, dass Peter noch mal kommt.
Berthold: Komm, lass uns essen! Stärke Dich. Wir müssten ein Mahl nach dem Geschmack des Meisters zu uns nehmen, doch dies hier tut‘s auch. Aufs Leben, Claus!
Claus: Aufs Leben! Guten Appetit und Dank, ich wär‘ allein so aufgeschmissen.
Berthold: Dabei können wir nur in sehr begrenztem Maß die Leiden des anderen teilen, das ist doch merkwürdig…
Claus: Davon hast Du neulich Abend schon gesprochen. Du hattest es von Bonhoeffer, dem Pastor von der Abwehr, der im Gefängnis sitzt mit Dohnanyi. Was hattest Du von ihm gehört?
Berthold: Er sagte eben, dass wir nur in sehr begrenztem Maß die Leiden des anderen teilen können. Weil wir nicht Christus sind. Doch wenn wir Christen sein wollen, müssen wir das große Herz mit Christus teilen, indem wir in der Stunde der Gefahr verantwortlich und in Freiheit handeln. Wir dürfen nicht in Furcht handeln, sondern aus wirklicher Sympathie mit denen, die leiden. Nur zusehen und abwarten heißt, nicht christlich zu handeln.
Claus: …nicht nur zusehen und abwarten…
Berthold: Die Zeit habe uns gelehrt, die Geschichte von unten zu betrachten, aus der Perspektive der Ausgestoßenen und Machtlosen. Auch hätten wir gelernt, dass man durch persönliches Leid mehr über die Welt erfahre als durch das Glück des einzelnen.
Claus: Er ist also doch ein Mann, der am Leiden hängt?
Berthold: Nein. Er ist einer, der klar sieht. Heldentum ist ihm egal.
Claus: Wie klingt das bei ihm?
Berthold: Ziehst du aus die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem / Zucht der Sinne und deiner Seele, dass die Begierden / und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. / Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, / und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. / Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht. / Nicht das Beliebige, sondern das Recht tun und wagen, / nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, / nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. / Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens / nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, / und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.
Claus: Gibt mir eine Zigarette bitte!
Berthold: Ja, gern. Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände / sind dir gebunden. Ohnmächtig einsam siehst du das Ende / deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte / still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. / Nur einen Augenblick berührst du selig die Freiheit, / dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende. / Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, / Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern / unseres vergänglichen Leibes und unserer verblendeten Seele, / dass wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. / Freiheit, dich suchen wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. / Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
Claus: So denke ich nicht, aber das ist kraftvoll, da ist nicht nur Kontemplation, das ist auch Kampf. Gib uns noch ein wenig Wein. Es klingelt, das wird Peter sein.
Berthold: Lass Dich hereinbitten, Peter, nimm Platz. Da ist etwas Brot und trink ein Glas Wein.
Claus: Schön, dass du kommst. Was gibt es Neues von Moltke?
York: Gut, dass Du fragst. Du weißt, ich bin ihm sehr verbunden und ich spüre deine Reserven und die Seinen kenne ich. Er ist lange schon zu sehr enttäuscht vom hohen Militär und traut ihm nicht. Jetzt hält er die Tat für zu spät. Er glaubt, nun müsse man die Schande ganz erleiden, um jemals gereinigt aus ihr hervorgehen zu können. Trotzdem steht er zu Dir bei allen Unterschieden. In der Haft, sagt er, gilt ohnehin nur, was man in sich hat.
Claus: Kannte er eigentlich Bonhoeffer, Dietrich Bonhoeffer? Berthold hat von ihm rezitiert bevor du kamst, Du kennst sein Gedächtnis…
York: Moltke und Bonhoeffer sind gemeinsam nach Skandinavien gereist, aber sie sind sehr unterschiedlich. Die Reise hat zu keinem weiteren Kontakt geführt, ihre Leben sind wohl zu verschieden, hier der Landwirt und Jurist, dort der Kirchenmann und Wissenschaftler.
Berthold: Sie waren nicht über vieles einer Meinung, schwer zu sagen, wo genau die Differenzen lagen, ob bei der Frage nach dem Attentat, oder bei Fragen der zukünftigen Gestaltung Deutschlands und Europas. Trotzdem empfand Bonhoeffer Moltke als sehr anregend.
Claus: Moltkes Enttäuschung übers Militär versteh ich gut, sie treibt auch mich in Wut. Doch er wirkt so überaus bedenkenvoll.
York: Mit der Zeit, als die Tat immer wieder ausblieb, kam er zu der Gewissheit, dass man nicht etwas Neues aufbauen kann auf einer Unrechtstat, zumindest nicht auf Gewalt. Nicht wegen Dolchstoßlegende, Eid und diesen Dingen, sondern ganz pragmatisch – er konzentriert sich immer mehr auf sein Christsein und das Handeln Gottes – nur so könne etwas wirklich Neues gestaltet werden, aus Gnade. Darin geht er sehr weit.
Claus: Sein Mut ist unbestritten. Und doch bleibt er mir fremd. Trotzdem ist es gut von ihm zu hören. Ich brauche Euer aller Mut. Und darin hat Moltke Recht: wir leben im Land der Gottlosen, dagegen muss man aufstehen. Ich muss das Nessushemd anlegen. Ich kann nicht nur erdulden, nicht mehr.
Berthold: Wenn man völlig darauf verzichtete hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann, einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane…
Claus: Vielleicht ist das Glaube. Und auf diese Weise wird man ein Mensch.
York: Ein Christ.
VI. Szene
Nina
Stauffenberg, Nina
Hinten tritt Stauffenberg unversehrt mit einem Cello auf und beginnt zu spielen.
Nina: 20. Juli 1944. Ich erinnere mich an einen jungen Mann – einen noch jungen Mann – am Sterben gehindert vom Tod selbst – und vielleicht vom Irrsal der Ungerechtigkeit.
Den Alliierten war es gelungen, auf französischem Boden Fuß zu fassen: Die Deutschen kämpften, obschon besiegt, vergebens mit sinnloser Grausamkeit.
In einem großen Haus (man nannte es Schloss) wurde eher schüchtern ans Tor geklopft. Ich weiß, dass der junge Mann ging, um den Gästen zu öffnen, die zweifelsohne Hilfe suchten. Diesmal Gebrüll: „Tous dehors.“
Ein Nazileutnant ließ, in einem beschämend normalen Französisch, zunächst die ältesten Personen, dann zwei junge Frauen hinausführen. „Dehors, dehors.“ Diesmal brüllte er. Der junge Mann versuchte dennoch nicht zu fliehen, sondern kam langsam hervor, in einer fast priesterlichen Weise.
Der Leutnant schüttelte ihn, zeigte ihm Patronenhülsen, Kugeln, offensichtlich hatte es ein Gefecht gegeben, der Boden war Kriegsboden. Der Leutnant fasste sich knapp in einer seltsamen Sprechweise und dem schon weniger jungen Mann (man altert schnell) die Patronenhülsen, die Kugeln, eine Granate unter die Nase haltend, schrie er deutlich: „Voilà à quoi vous êtes parvenu“.
Der Nazi ließ seine Männer in Reih und Glied antreten, um gemäß den Regeln, die menschliche Zielscheibe zu treffen.
Ich weiß – das weiß ich –, der, auf den die Deutschen schon zielten, verspürte nun, als er nur noch auf das letzte Kommando wartete, ein Gefühl außergewöhnlicher Leichtigkeit, eine Art Seligkeit (nichts Glückliches jedoch) – souveräne Heiterkeit? Die Begegnung des Todes mit dem Tod.
An seiner Stelle, werde ich nicht versuchen, dieses Gefühl von Leichtigkeit zu analysieren. Er war vielleicht auf einmal unbesiegbar: Tot – unsterblich: Vielleicht die Ekstase: Eher das Gefühl von Mitleid mit der leidenden Menschheit, das Glück, weder unsterblich zu sein, noch ewig. Von nun an war er durch eine heimliche Freundschaft mit dem Tod verbunden.
In diesem Augenblick – jähe Rückkehr zur Welt – erscholl der beträchtliche Lärm einer nahen Schlacht: Die Kameraden der Résistance wollten dem zu Hilfe eilen, den sie in Gefahr wussten. Der Leutnant entfernte sich, um sich Meldung erstatten zu lassen. Die Deutschen verblieben in Befehlsstellung, und verharrten so in einer Reglosigkeit, die die Zeit anhielt.
Doch da näherte sich einer von ihnen und sagte mit kräftiger Stimme: „Nous, pas allemands, russes“, und fast lachend: „armée Wlassow“, und er machte ihm Zeichen zu verschwinden.
Ich glaube, er entfernte sich immer noch in dem Gefühl der Leichtigkeit, soweit, bis er sich in einem entfernten Wald, dem „Bois des bruyères“ wiederfand, wo er im Schutz der Bäume blieb, die er gut kannte. Dort, in dem dichten Gehölz fand er plötzlich, und nach langer Zeit, den Sinn für das Wirkliche wieder. Überall Feuersbrünste, eine Folge von Bränden ringsum, alle Gehöfte standen in Flammen…
So also war der Krieg: das Leben für die einen, für die anderen das Grauen der Ermordung. Indes blieb, in dem Moment, als die Erschießung nur mehr ausgesetzt war, das Gefühl von Leichtigkeit, das ich nicht zu übersetzen wüsste: vom Leben befreit? Das Unendliche, das sich eröffnet? Weder Glück noch Unglück, auch nicht die Abwesenheit von Furcht und vielleicht schon der Schritt jenseits. Ich weiß, ich stelle mir vor, dieses unanalysierbare Gefühl veränderte, was ihm an Existenz verblieb. Als ob der Tod außerhalb von ihm von nun an nur auf den Tod in ihm stoßen konnte.
Ich bin lebendig. Nein, Du bist tot.