Der Bericht einer Pilgerin mit Namen Egeria vom Ende des 4. Jahrhunderts lässt die liturgische Feier der gesamten Karwoche – der „großen Woche (septimana maior)“1  wie sie dort genannt wird – als eine Abfolge von Stationsgottesdiensten und Gängen den biblischen Tageszeitangaben und einschlägigen Erinnerungsorten folgend erscheinen.

Auf diese Weise wird die Passion Christi „im wörtlichen Sinne begangen“2. „Der Bericht der Pilgerin unterstreicht ausdrücklich die körperlichen Anstrengungen, Mühen und Ermüdungen, die mit dieser Form des Begehens der Leidensgeschichte verbunden sind.“3  Dabei geht es nicht um „symbolische Repräsentation“, sondern um „bis zur körperlichen Erschöpfung betriebene Anteilnahme an einer körperlichen Leidensgeschichte“. Ihre Stimmigkeit erhält diese Erfahrung „durch die Lesungen, Gebete und Hymnen“, die sie ins Bewusstsein heben. Der Zusammenklang von beidem bewirkt eine „emotionale Beteiligung“ und verschafft sich auch „körperlich Ausdruck“.4

In diesem körperlichen Zusammenhang ist der Gründonnerstag durch die Christusworte: „Dies ist mein Leib.“ und „Dies ist mein Blut.“ bis heute als ein besonders intimes Geschehen markiert. Der polnische Theaterwissenschaftler Jan Kott nennt dies „Gott – Essen“5. Kott fügt der Deutung des Geschehens aus der Tradition des jüdischen Passahmahles eine Interpretation aus der Tradition der griechischen Tragödie hinzu. 

Und doch wird der Grundton bestimmt durch eine gemeinsame Mahlzeit. Und es ist dieses Kontinuum, das es erlaubt, alltägliche Vollzüge mit liturgischen und sogar theatralischen Vollzügen in polyphonem Zusammenklang zu denken und zu erleben.

Der Grundton der alltäglichen Mahlzeit wird von Michel Serres hervorgehoben, wenn er das Mahl von Gründonnerstag in folgende biblische Tradition stellt: „Du sollst keinen Mann, keine Frau, kein Kind mehr töten, du sollst keinem Tier mehr das Leben nehmen, ob Widder oder Stier, du sollst Brot essen und Wein trinken. Ja, die Eucharistie lässt ein unschuldiges, sanftes Zeitalter anbrechen, das dem Schlachten abgeschworen hat und sich der Flora zuwendet. Pflanzen sind autotroph, anders als die heterotrophen Tiere: Diese überleben nur auf Kosten anderer Lebewesen, jene brauchen nur die Welt, das Wasser, die Sonne, das Licht und materielle Moleküle. Sie überleben unabhängig von anderen Lebewesen. Sie töten nicht. Fleisch und Blut entstammen also den alten Opferungen, aber beide verwandeln sich in opferlose Substanzen, in Brot und Wein. Eins: Um des Friedens willen einen Menschen töten, Zwei: Ein Tier töten, um es zu essen. Und endlich: Essen, ohne zu töten.“6

Neben den Verwandlungen, die sich an die Mahlzeit von Gründonnerstag anschließen bzw. von ihr ihren Ausgang nahmen, gilt es eine nicht aus dem Blick zu verlieren. Das kann bedeuten, sie in diesem Zusammenhang erst einmal in den Blick zu nehmen. Es handelt sich um die Verwandlung einer Gabe in eine Ware und zurück.

Selbst wenn diese Wandlung nicht im Zentrum des liturgischen Mahles steht, so findet sich doch bis in früheste eucharistische Gebete Bezüge zu ihr, nämlich zu Herkunft und Herstellung der Gaben Brot und Wein aus Korn und Trauben, Ernte und Kelterung.

Der entscheidende Begriff im Verhältnis zwischen Gabe und Ware ist die Entfremdung. „In der kapitalistischen Logik der Kommerzialisierung werden die Dinge aus ihren Lebenswelten gerissen, damit sie Tauschobjekte werden können. Diesen Prozess nenne ich ‚Entfremdung‘, und ich schreibe den Begriff gegebenenfalls Menschen wie Nichtmenschen zu.“7

In der Auseinandersetzung mit Studien zu dem melanesischen Tauschritual „Kula“ kommt die amerikanische Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing zu der Erkenntnis, dass der „Wert der Dinge“ aber „nicht einfach durch den Gebrauch oder den Gütertausch“ entsteht, sondern durch „soziale Beziehungen, zu denen sie gehören“.8  Es können also relativ wertlose Dinge durch soziale Beziehungen, die durch sie geknüpft oder unterhalten werden, einen hohen Wert erhalten. Das bedeutet aber, dass „Warenökonomie“ und „Gabenökonomie“ einander nicht zwangsläufig dichotomisch gegenüberstehen.9

Mit diesem Befund beobachtet Tsing die immer wieder im Zentrum ihrer Untersuchungen stehenden Praktiken um den japanischen Matsutake Pilz. Dieser wächst insbesondere auf von Waldrodungen gezeichneten Gebieten in Symbiose mit einer Kiefernart. In Oregon, USA, bildeten sich in derartigen Waldgegenden mehr oder weniger lose Gruppen von Aussteigerindividuen, die es zu ihrer Aufgabe machten, diese Pilze suchen, zu ernten und auf Versteigerungen feil zu bieten. Wie Trophäen ihrer Freiheit, im Wald zu leben, versteigern diese Leute ihre Pilze und verdienen damit das Geld, was sie für ihre Existenz benötigen. Die Pilze haben als Verlängerung und Ausdruck ihrer Persönlichkeit einen hohen Wert. Die Ersteigerer wissen diesen Wert zu schätzen und kennen die Sammler und Orte, an denen sie ihre Pilze anbieten. Im Weiterverkauf an Zwischenhändler wird den Pilzen ihr wertvoller relationaler Charakter Stück für Stück entzogen. Sie werden sortiert, kategorisiert, anonymisiert, verpackt, transportiert und werden so zur Ware. In ihrem Zielland Japan angekommen, werden sie wiederum von Händlern in Augenschein genommen und für den weiteren Verkauf an Supermärkte, Spezialitätenhändler bis hin zu ausgewählten Einzelpersonen ausgewählt und dann schließlich verkauft. In diesem Prozedere werden also der Ware wieder beziehungsknüpfende Werte hinzugefügt. Sie ergeben sich aus ihrer Qualität. Schließlich spielen Matsutake-Pilze in der japanischen Kultur als beziehungsstiftende und –unterhaltende Delikatesse eine zentrale Rolle. Die Pilze erhalten also wieder den Charakter einer Gabe.

In dem hier skizzierten Prozess findet eine Verwandlung oder Übersetzung von einer Gabe in eine Ware und zurück statt. In unserer durchkommerzialisierten Welt könnte er die Aufmerksamkeit für einen Moment auf eine individuelle kleine Liturgie einer Vorbereitung der Gaben lenken, die am Gründonnerstagsmahl und seinen Folgemahlen auf den Tisch und in unsere Körper kommen.