Seit Januar 2017 schreibe ich hier einen Blog auf der Homepage des Zentrums für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur. Seine Arbeit operiert eher wuchernd als zielgerichtet aufeinanderfolgend. Ein Teil der dort veröffentlichten Texte folgt Arbeitsthemen des Zentrums und ist an konkreten Veranstaltungen und Projekten orientiert. Andere erforschen Fragestellungen, die sich aus konkreten Fragen der Arbeit am Auftritt mit Pfarrerinnen und Pfarrern ergeben. Wieder andere nehmen Zeitfragen auf oder folgen Lektüren. Alle Einträge breiten Material aus, mit dem weitergearbeitet werden kann und sollte. Als Material markieren die Einträge oft Fehlstellen in den herkömmlichen Zusammenhängen, in denen das Zentrum agiert.

Die vergangenen zwei Jahre habe ich um die Feste des Kirchenjahres herum gearbeitet, dabei war es wichtig, nicht nur historische Anknüpfungspunkte in den Blick zu nehmen, sondern Verbindungen zu heutigen Fragestellungen, Forschungen und auch direkt zur Praxis herzustellen, zu testen.

Im Jahr 2024 soll es um den „Kleinen Katechismus“ von Martin Luther gehen. Diese einst weit verbreitete Schrift soll darauf getestet werden, ob sie tatsächlich als „kleine“ bzw. minderheitliche Schrift gelesen werden kann[1].

Historische gesehen ist der „Kleine Katechismus“ als Maßstab reiner lutherischer Lehre eine sogenannte Bekenntnisschrift. Angefüllt und ausgelegt in Luthers Predigten und kirchenpolitische Befestigungen führte er schließlich zum „Großen Katechismus“. Aber das ist nur die eine Seite seiner Wirkung.

Die andere Seite besteht darin, dass er von allen möglichen Leuten gelesen wurde. Also auch von denjenigen, an die er zumindest zunächst nicht gerichtet war. Normale Leute trugen das Büchlein in ihren Taschen und nahmen sich daraus, was sie brauchten konnten. Der „Kleine Katechismus“ wurde zu einer Art „Volksbuch“, wie die Geschichten von Doktor Faust, Till Eulenspiegel oder Don Quichote.

Dieser Seite seiner Wirkung folgen wir das kommenden Jahr über einmal im Monat. Dabei wird Luthers „Kleiner Katechismus“ auch konfrontiert werden mit dem Denken vor allem heutiger Autorinnen und Autoren, an die er eben so wenig, zumindest zunächst nicht, gerichtet worden ist.

In der Abfolge wird es einen Beitrag zu den Zehn Geboten geben, einen zum Credo, was in diesem Falle das Apostolikum ist. Das Hauptgewicht wird auf dem Vater unser mit mehreren Beiträgen liegen. Darauf folgen ein Eintrag zur Taufe, einer zum Abendmahl und einer zur Beichte bzw. den Schlüsseln. Soweit die Orientierung, Änderungen sind möglich.

Begleitet wird dieser Zyklus von grafischen Arbeiten des Wittenberger Grafikers Christian Melms. Er ist hierzu auf der Suche nach grafischen Arbeiten von Lucas Cranach im Zusammenhang des „Kleinen Katechismus“ und wird seine Funde zur Grundlage von Bearbeitungen machen.

Ein Gedanke zum Einstieg in diese Blogserie auf www.predigtzentrum.de:

Bekenntnisse – schriftlich oder mündlich – rufen schon immer Abgrenzungsstrategien auf den Plan. Sie entstehen aus Abgrenzung und reichen bis ins Neue Testament zurück. Sie haben von Anbeginn an mit Ab- und Ausgrenzung – damnatio – zu tun. Nicht selten sind sie von Kriegen orchestriert. Sie sind also immer auch Ausdruck von Machtstrategien und von (Vor-) Herrschaftsansprüchen. Sie tragen Narben von Unterdrückung anders Denkender bzw. anders Glaubender auf ihrer textlichen Haut. Wir als kirchliche gläubige Christinnen und Christen haben es gelernt, diese Vernarbungen oder Tattoos zu übersehen, oder besser: zu übersprechen, (meist ein wenig sinnlos rhythmisiert). 

Hinzu kommt, dass Bekenntnisschriften auf ihre eigene Art eine Formeltradition behaupten, und damit Denkstile der Zeit ihrer Formulierung für allgemein- und alleingültig zu halten. Diese Art der Traditionswahrung wirft zumindest Fragen auf. Ihre Art Dichtung im Sinne von Verdichtungen neigen dazu, Einstimmigkeit zu verlangen. Das ist ihrer Dichtigkeit und zum Teil auch ihrer Poesie nicht angemessen. Im Gegenteil: Ihr entspricht eine Mehrstimmigkeit, die ohne musikalische und tänzerische Nachbarschaften[2] nur schwer oder, genauer gesagt: nicht zu denken ist. 

Aber: Ohne Denken geht es nicht! Sonst landet man bei Überzeugungen aller Art/ Meinungen/ über alles und nichts/ in hoher Geschwindigkeit/ ohne Zeit/ rausgehauen/ geliked / gehated: Krieg. Der findet, wie immer seinen Weg in die Realität. Kurzum: Bekenntnisse haben eine starke Tendenz zum Binären und sind darin brandgefährlich. Wiederholungen: Ja. Aber: Ohne Differenzen? Nein! Wie ist dann mit ihnen umzugehen?

Parallel zu der Serie im Blog auf www.predigtzentrum.de gibt es auf derselben Homepage eine Hörbuchreihe mit Ausschnitten aus den Bekenntnissen des Nordafrikaners Augustinus von Hippo. Jeden Monat ein Kapitel.   

Die Verwendung des Titels Bekenntnisse (confessiones) weist auf einen Aspekt hin, der auch den Kleinen Katechismus in seinem Aufbau rahmt. Zu Beginn das Credo, also das Glaubensbekenntnis, zum Beschluss, die Beichte, also das Schuldbekenntnis. Was bei Augustinus in die inneren Windungen seines Ich führt, führt auch in die Verließe der Institutionen, die auf Bekenntnisse gegründet sind.

Im Kleinen Katechismus stehen die alten Zehn Gebote wie ein Präludium vor dem Credo. Du und Ich. Welches Du und welches Ich wird von den entsprechenden Institutionen und ihren Repräsentanten gesprochen – und das heißt: bekannt – werden müssen? Das Postludium der Schlüssel ist nicht ausgearbeitet. Das wird eine Frage der Zukunft des Christentums sein.

Im Blog auf www.predigtzentrum.de versuche ich es einmal damit, alte Texte zu lesen und zu öffnen. Ob es gelingt, dabei eine Strategie zu entdecken, wie oder dass Bekenntnisse anders als in Abgrenzungen gedacht und bekannt werden können, ist durchaus nicht sicher. Ich hoffe es. Und bei welcher Bekenntnisschrift sollte man beginnen können mit dieser Arbeit als beim „Kleinen“ Katechismus?