Dieser markante Satz des eigenwilligen Sprachphilosophen Eugen Rosenstock-Huessy1  speichert nicht nur die Grundlagen liturgischen Denkens. Er lässt sich in unserem Zusammenhang von Trinitatis als Lebenszeit lebensliturgisch zuspitzen.
 
In seiner Lektüre der Geschichten von der Opferung Isaaks durch Abraham, der Errettung des Jona und der Passion Christi zieht der französische Philosoph Michel Serres folgende Bilanz für das Christentum: „Du sollst keinen Mann, keine Frau, kein Kind mehr töten, du sollst keinem Tier mehr das Leben nehmen, ob Widder oder Stier, du sollst Brot essen und Wein trinken. Ja, die Eucharistie lässt ein unschuldiges, sanftes Zeitalter anbrechen, das dem Schlachten abgeschworen hat und sich der Flora zuwendet. Pflanzen sind autotroph, anders als die heterotrophen Tiere: Diese überleben nur auf Kosten anderer Lebewesen, jene brauchen nur die Welt, das Wasser, die Sonne, das Licht und materielle Moleküle. Sie überleben unabhängig von anderen Lebewesen. Sie töten nicht. Fleisch und Blut entstammen also den alten Opferungen, aber beide verwandeln sich in opferlose Substanzen, in Brot und Wein. Eins: Um des Friedens willen einen Menschen töten, Zwei: Ein Tier töten, um es zu essen. Und endlich: Essen, ohne zu töten.“2

Dennoch, so stellt die amerikanische Philosophin Donna Haraway fest, besteht „statistisch gesehen die häufigste Form einer Beziehung eines Menschen zu einem Tier darin [], es zu töten“3.

Und dieses Faktum haben wir in unserer Kultur geschickt hinter Sprache versteckt. So kann man auf entsprechenden Internetseiten statistische Angaben dazu finden, dass beispielsweise im Jahr 2009 „zwei Milliarden und dreihundertneunundachtzig Millionen Kilo“ Nutztiere getötet wurden, um gegessen zu werden. Wie hier sprachlich Tiere hinter Kilo versteckt werden, fällt einem schlagartig auf, wenn man sich eine zahlenmäßige Todesangabe auf Menschen bezogen vorstellt. Die entsprechende Zahl würde nicht in Kilo dargestellt, sondern es würde von Individuen gesprochen.4

In Bezug auf getötete Tiere findet also ein Übersetzungsvorgang statt, den man „Deanimalisierung“ nennen kann. Auf dem Schlachthof hört ein Tier auf, ein Körper zu sein. Es wird zu einem Kadaver und es sind unsere „Konsumgewohnheiten“, die „bestimmen, welche Metamorphosen dieser als nächstes durchläuft“, bis wir ihn auseinandergenommen und mit Bezeichnungen versehen, die mit seiner Anatomie nichts mehr zu tun haben, als Produkte kaufen, zubereiten und verzehren. Diese Praxis ermöglicht es uns, zu vergessen, dass wir etwas zu essen begehren, was dem Lebendigen entstammt und getötet werden musste.

Um erneut eine Verbindung zwischen Mensch und Tier herzustellen, müssten wir Möglichkeiten erfinden, die Tiere als Lebewesen „zu würdigen, und zwar außerhalb der Logiken von Opfergaben […] Und das überall dort, wo Haus- und Nutztiere leben, leiden, arbeiten, sterben und fressen, von den Laboren, die Mensch und Tier zusammen bringen, über die Ställe bis an unseren Tisch. Wie wir würdigen können, muss noch erdacht werden. Dafür müssen wir besonders auf die Worte achten, darauf, wie wir etwas sagen und wie wir damit eine bestimme Art, etwas zu tun oder zu sein, bestätigen.“6

Die Tiere müssten als „Verstorbene“ gewürdigt werden, als „Lebewesen“, die „weiterhin auf eine andere Weise unter den Lebenden“ existieren, die sie ernähren und „deren Fortdauern“ sie sichern. Tiere würden gewürdigt als „Verstorbene[]“, deren „Existenz sich verlängert wenn nicht in unseren Erinnerungen, dann in unseren Körpern.“ Zu solcher Würdigung gilt es „zu lernen, wie wir ‚im Fleisch erben‘ […], lernen, gemeinsam Geschichte zu schreiben, als Spezies, die Seite an Seite leben, deren Existenzen derart miteinander verschlungen sind, dass jede von ihnen anders lebt und stirbt.“7

Die amerikanische Philosophin Judith Butler stellte sich angesichts des 11. September 2001 die Frage, welche Leben als Leben zählen und konkretisierte diese Frage nach der danach, was ein Leben zu einem solchen Leben mache, das man betrauern kann. Wenn auch Judith Butler mit ihrer Frage nicht an Tiere dachte, so führt ihre Antwort doch auf einen Begriff, der auf sie erweitert werden kann: Verletzlichkeit. Wir leben in einer Welt, „in der jeder vom anderen abhängig ist und vor allem durch die anderen und ihnen gegenüber verletzlich“8.

Es ist also die „gemeinsame Verletzlichkeit“9, die aus einem Leben eines macht, das betrauert werden kann. Gemeinsame Verletzlichkeit sollte nun aber nicht „mit der Rolle eines Opfers verknüpft“ werden und auf diese Weise „lediglich Schwäche“ offenlegen. „Diese Verletzlichkeit entsteht aus einer aktiven Teilhabe an einer verantwortungsvollen Beziehung, einer Beziehung, in die jedes der Lebewesen sich einzubringen lernt und von der es lernt, sich einzubringen. Durch die Trauer, die gezeigt wird, kann das Leben etwas zählen. Dadurch, dass diese Trauer akzeptiert wird, zählt es etwas. Verletzlichkeit angesichts der Trauer zu wagen, damit ein Leben, das verletzlich ist, nicht nichts zählt, damit es als Leben zählt, anzunehmen, gemeinsam mit den Tieren und auf jeweils andere Weise verletzlich zu werden“, könnte dann heißen, dass man die Tiere „nicht um Verzeihung bitten, sondern ihnen danken“ müsste.10

Die angedeutete Erfindungsaufgabe besteht darin, „Sinn zu erschaffen, selbst wenn er nicht auf der Hand liegt“11 :  eine eminent liturgische Aufgabe.