Wenn ein Autor auch Filme macht und sogar Fernsehen, kann das missverstanden werden. Es kann zu Auseinandersetzungen führen. Es kann aber auch zu Unterscheidungen führen, auf die es ankommt. Das ist der Fall bei Alexander Kluge. Er übt seine Tätigkeit in Film und Fernsehen dezidiert als Autor aus, und dies als literarischer Autor. Das, was für Kluge die Tätigkeit eines literarischen Autors ausmacht, hängt damit zusammen, dass er in seiner Kindheit Geschichten gehört hat.

„Dieses unmittelbare Erzählen, das Hinhören, der Schwung der lebhaften Erwachsenenrede – das ist die Modulation, die Beleuchtung, nach der zwischen wichtig und unwichtig, kurz oder lang, zustimmend oder mit Widerstand innerlich entschieden wird. Und dieser Erzählstrom der gesprochenen Sprache der Kinderzeit, also der unmittelbaren Erfahrung (unabhängig davon, ob der Inhalt der Gespräche vom Kind verstanden wird), ist für den Autor die Verständigung wiederum mit dem Leser, der auf seiner Seite ebenfalls ein Autor ist, der seine Autorschaft nur nicht berufsmäßig ausübt.“1

Als der Autor Alexander Kluge zu Zeiten des Aufkommens des privaten Fernsehens beschloss, im Fernsehen tätig zu werden, ging es ihm um die Verteidigung bzw. Fortsetzung des von ihm beschriebenen Autorenzusammenhanges mit seinen Leserinnen und Lesern im Sinne einer unabhängigen Öffentlichkeit.

Denn im Unterschied dazu funktioniert das Fernsehen anders. Die Medien und die „großen Kommunikationsapparate“ gehen nämlich genau umgekehrt vor. „Sie schaffen ein universal verständliches Esperanto des gesunden Menschenverstandes. In ihm kommt das einzige Kriterium, das für alle Menschen gilt, ob der Ton stimmt, als Prüfstein nicht mehr vor.“2

Vor diesem Hintergrund wollte Kluge, „dass Film, Buch und Musiktheater, die auf Erden eine Geltung haben, auch am Satellitenhimmel ein Fenster haben sollten. Von diesem Gedanken ausgehend, dass es Mächte und ein Können gibt, dass dem TV voranging, wollten wir ein unabhängiges Fenster etablieren.“3

Dabei kämpft Kluge zum einen um die „Organisation und Verteidigung unabhängiger Öffentlichkeit, wie sie zum historischen Selbstbewusstsein freier Autoren gehört“. Zum anderen setzt er seine Autorentätigkeit fort „so, als ginge es um Bücher“, also im Bewusstsein dessen, dass „das Wort die einzige Aufbewahrungsform menschlicher Erfahrung darstellt“. Praktisch gesehen bedeutet das, beständig der Frage nachzugehen, „ob man die Geduld, die Gründlichkeit und das Wartenkönnen der Texte in die neuen Medien einbringen kann“.4

Ein Autor, eine Autorin ist also jemand, die bzw. der ihre oder „seine Erfahrungen zum Ausdruck bringt, öffentlich, und abreibt an den Erfahrungen anderer“5. In diesem Sinne ist „jeder Mensch ein solcher Autor seiner eigenen Erfahrung“6.

„Jeder Mensch trägt seine Erfahrungen mit sich herum. Und wenn diese Erfahrungen nicht in der Öffentlichkeit mit anderen ausgetauscht werden können, dann trägt er Erfahrungen mit sich, ohne ein Selbstbewusstsein, Selbstachtung daraus zu ziehen. Er wird diese Erfahrung unterschätzen. Er wird fremde Erfahrungen für eigene halten. Er wird auch fremde Sprachen annehmen.“7

Es kommt also entscheidend darauf an, „wie wir die Verschiedenartigkeit“ von „Erfahrungsfragmente[n] bei uns zusammenbekommen, ob wir Autoren unserer Lebenserfahrung sind, Produzenten unserer Lebensläufe oder nur Zuschauer unserer Lebensläufe“.8  Diese Autorschaft benötigt eine unabhängige Öffentlichkeit.

Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen erzählt Alexander Kluge von einer Reise nach Kanada, auf der er den damaligen Bundeskanzler Schmidt begleitet hatte. Schmidt hatte folgendes beobachtet: „Diese Kanadier verkaufen ihre wertvollen Rohstoffe meist in der ersten Generation ohne Verarbeitung, weil sie die ganze Zeit entweder auf französische Fernseher gucken, auf das, was ihnen Paris erzählt, wenn sie französischsprachig sind, oder als Englischsprachige blicken sie auf die New Yorker Fernseher. Weil sie keine eigene Öffentlichkeit haben, haben sie das Selbstbewusstsein, ihre eigene Erfahrung einzusetzen und die reichhaltigen Rohstoffe ihres Landes selbst zu verarbeiten, in ungenügendem Maße.“9

Für die praktische Arbeit im Fernsehen bedeutet eine derartige Autorschaft einen Unterschied zu Kategorien wie Dienstleistung, Quote und Gewinnmaximierung. Kluge gibt einige Beispiele seiner Fernsehpraxis, die diesen Unterschied markieren und somit sein Ziel verfolgen, „das Fernsehen offen zu halten für das, was außerhalb des Fernsehens stattfindet“10.

Ein erstes Beispiel betrifft die Schrift und ist für eine wie auch immer kirchliche, theologische Praxis in den Medien direkt virulent: „Auch im Fernsehen, das als Bildmedium gilt, muss es irgendwo Schrift geben. Geschriebener Text, der in einigen Einzelfällen stärker als jedes Bild sein kann. Das weiß man von Moses und Aaron. Was Aaron sagt und nicht schreibt, ist populär und gewinnt die Menschen schnell. Und dennoch gibt es etwas, sagt Moses, was nicht ins Bild gesetzt werden und nicht durch Worte übertönt werden darf. Es muss Schrift bleiben.“11

Das immer wiederkehrende Argument der Einschaltquote, der man sich inhaltlich und ästhetisch beugen müsse, widerspricht Kluge in diesem Zusammenhang deutlich: „Und es ist nicht wahr, dass man erst ab drei oder vier Millionen Menschen überhaupt von einer Fernsehquote sprechen kann. Hierin sind diese Medien hysterisch geworden. Und sie entwickeln dadurch in dieser Hysterie eine Geschwindigkeit, die über die Möglichkeiten unmittelbarer menschlicher Erfahrung hinweggeht. Die Schrift ist eine unserer primären Erfahrungsmöglichkeiten über 6000 Jahre hin.“12

Sein zweites Beispiel ist der Originalton. Kluge versteht ihn als einen Gegenpol zur Schrift. Nur was ein Mensch im Originalton sagt, drückt seine unmittelbare Erfahrung aus. Und das bedeutet konkret: „Es gibt keine unmittelbare Erfahrung, die sich fehlerfrei äußert, die nur Hauptpunkte berücksichtigt, die vorsortiert reden kann.“ Deshalb ist es notwendig, auf Menschen einzugehen. Und das „erfordert mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit und Verzicht auf die Homogenisierung, die dem gesamten Fernsehen zugrunde liegt.“13

Das dritte Beispiel behandelt die „Autonomie von Bild und Musik“ und betrifft einen besonders wunden Punkt. Denn diese Autonomie ist im Fernsehen besonders schwer zu realisieren. „Wenn ein Text nicht kommentiert, dem Zuschauer nicht alle eineinhalb Minuten gesagt wird, worum es sich handelt, meinen die Fernsehoberen, dass die Zuschauer irritiert werden, dass sie die Führung bräuchten durch einen homogenisierten mittleren Sinn.“ Dabei müsste das Gegenteil gemacht werden: „Irgendwann müssen Bilder so freigelassen werden, dass sie ohne Text, auch ohne Sinnzwang, ihr eigenes Leben haben.“ Ebenso der Ton, und das meint insbesondere Musik. Es geht darum, die Dinge für sich sprechen zu lassen.14

Das vierte Beispiel, das Kluge bringt und als Arbeitsanleitung im Umgang mit den Medien des Fernsehens und ihren Hybriden empfiehlt, heißt lapidar: Zeit. Eine allgemeine Beschleunigung, in der unsere Welt sich befindet, führt dazu, dass der Mensch seine eigene Zeit verliert. Er lebt ständig in einer fremden Zeit, einem Aktualitätswahn. Dies gilt insbesondere für die homogenisierte Zeit, die das Fernsehen erzeugt, aber auch für die übrigen Formen der Öffentlichkeit. Es ist diese Enteignung der eigenen Zeit, die eine Lähmung hervorbringt, einen Mangel an Selbstachtung.

„Nicht nur werden die Vergangenheiten und Zukünfte durch den Angriff der Aktualität beschädigt werden, sondern auch die Möglichkeitsformen, die Konjunktive, die Wunschformen, die ganze Fülle der Grammatik. Erfahrungen ohne Grammatik der Zeit gibt es nicht. Zeit als Thema, Zeit, um etwas zu bauen und zu entwickeln, Zeit, um etwas auszudrücken, Zeit, um etwas wahrzunehmen.“15

Im kämpferischen Gegensatz zur beschleunigten homogenisierten Zeit des Fernsehens und der neuen Medien plädiert ein Autor seiner eigenen Erfahrungen wie Alexander Kluge für eine „Vielfalt der Zeiten: Zeit zu sterben, Zeit zu leben, Zeit geboren zu werden. Von Luther kennen wir die lange Liste mit den Aggregatzuständen der Zeit. Und diese Aggregatzustände der Zeit, die eine naturgesetzliche Härte haben (auch wenn man meint, man könne sie mit Programm, mit Planung zerteilen), sind der eigentliche Arbeitsgegenstand der Autoren und von allen, die mit den Mitteln Bild und Musik arbeiten.“16