Hörbuch Michel Serres – Das Verbindende.
Essay über Religion (2021)
Ein konkretes Beispiel für die Beobachtung, dass Gedanken ihre angestammten Gehäuse verlassen, auswandern, sich verstecken, aber auch wiedergefunden werden können und anregend zurückwirken, findet sich im letzten Buch von Michel Serres.
Der französische Philosoph und Wissenschaftshistoriker ist im Juni 2019 verstorben. Dieser mit großen Ehren bedachte Universalgelehrte hat bis wenige Tage vor seinem Tod an einem Essay über Religion gearbeitet. Als ein Vermächtnis nimmt diese letzte Arbeit den bei aller historischen Kenntnis optimistischen Grundimpuls auf, der das gesamte Werk Michel Serres‘ kennzeichnet: „Erfindet Euch neu!“.
Zwölf Auszüge aus diesem Buch, die sich auf Fragen des Christentums konzentrieren, werden als Hörbuch auf dieser Website zu hören sein. Jeden Monat ein Auszug jeweils einen Monat lang.
Übersetzung aus dem Französischen: Stefan Lorenzer
Auswahl und Lesung: Dietrich Sagert
Aufnahme: Bernhard Voss, Voss Tonwerkstatt Berlin
Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages Berlin
Die zwölf Kapitel im Überblick
Januar | Als programmatischen Einstieg liest Michel Serres die Szene aus dem Johannesevangelium, in der die Pharisäer Jesus eine Frau vorstellen, die beim Ehebruch ertappt worden war. Man müsse diese Texte immer wieder lesen bis sich der Text zeigt, den Jesus in den Sand schrieb. Das erste Kapitel liest die Weihnachtsgeschichte der drei Weisen aus dem Morgenland und erkennt in ihr den Bauplan unserer heutigen Welt. In seiner Lektüre wird deutlich, dass das Potenzial des Christentums heute darin zum Vorschein kommen könnte, die Inkarnation neu zu denken.
Februar | Das zweite hier zusammengestellte Kapitel entwickelt im Rückgriff auf die kulturbildenden Erzählungen der Genesis eine geschichtsphilosophische Perspektive. Er legt die Lichtphänomene Epiphanie und Aufklärung nebeneinander und mündet in einer Kritik von Wissen und Macht.
März | Das dritte Kapitel liest die Erzählung von Jesu Verklärung und sieht in ihr die Konzentration des Lichtes auf einen Menschen. Hier entsteht das Ich. In der Pfingstgeschichte erweitert es sich in eine Mehrstimmigkeit und eröffnet das Spiel von An- und Abwesenheit als einer Energetik der Inkarnation.
April | Das vierte Kapitel bestimmt das Verbindende, was Religion und in unserer Auswahl besonders das Christentum ausmacht, in ihrer Fähigkeit, unterschiedliche Rhythmen, Tempi und Zeiten zu verbinden. Das geschieht sowohl in religiöser Praxis als auch in ihrem Denken.
Mai | Das fünfte Kapitel entdeckt in der vergleichenden Lektüre von Petri Verrat und Jesu Gericht drei Gerichtsformen mit neuen Erkenntnissen zum Verhältnis Einzelne/r und Kollektiv in ihrem jeweiligen Bezug zu Gewalt und Schuld.
Juni | Das sechste Kapitel kommt aus dem Umkreis der Passion Jesu auf die Geschichte mit der beim Ehebruch ertappten Frau zurück und erläutert wie das Christentum die Verhältnisse zwischen Einzelnem, Kollektiv, Gewalt und Schuld neu angesehen hat und Vorschläge zu ihrer Lösung bereithält.
Juli | Das siebente Kapitel liest das Christentum von seiner kulturellen Herkunft, vom Land her (Jesus, Franziskus), das erst in die Stadt (Paulus, Augustinus) gezogen ist und entwirft aus dieser Spannung aktuelle Perspektiven für seine Rolle in unserer heutigen Welt.
August | Das achte Kapitel erzählt die Religionsgeschichte des Opfers als „Anthropologie in drei Akten“. In ihr taucht Eva an überraschender Stelle auf. In der Praxis des Essens als der Überwindung des Opfers, die zugleich eine Überwindung von Zugehörigkeit bedeutet, wird der verstellte Horizont christlicher Gemeinschaft erneut sichtbar.
September | Das neunte Kapitel liest die alten Erzählungen von Genealogie, Jungfrauengeburt und Erbe in der Perspektive einer universalen Adoption. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Stück katholischer Volksfrömmigkeit unerwartet als feministisches Gegenüber der Dreifaltigkeit von hoher Aktualität.
Oktober | Das zehnte Kapitel liest die Auferstehung in der Perspektive der Inkarnation und entdeckt in ihr das Potenzial des Christentums. Es besteht in universaler Liebe als dem universalen Verbindenden.
November | Das elfte Kapitel entdeckt im Lob des Allerhöchsten eine Praxis zur Überwindung von Ruhmsucht, Rivalität und Neid, eine Praxis des Friedens. Dazu gehört das Lob des Allerniedrigsten, ihm wird niemand sein Leben neiden.
Dezember | Im zwölften und letzten Kapitel dieser Auswahl bedenkt Michel Serres den Satz: Credo in unum Deum und umreißt, was Glauben bedeutet. Er endet sehr persönlich und mit der Schlussfolgerung, dass er nun seinen beschriebenen Denkweg von Neuem beginnen müsste.

aktuelles Kapitel
Dezember: Im zwölften und letzten Kapitel dieser Auswahl bedenkt Michel Serres den Satz: Credo in unum Deum und umreißt, was Glauben bedeutet. Er endet sehr persönlich und mit der Schlussfolgerung, dass er nun seinen beschriebenen Denkweg von Neuem beginnen müsste.